R. Löffler: Protestanten in Palästina

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Titel
Protestanten in Palästina. Religionspolitik, Sozialer Protestantismus und Mission in den deutschen evangelischen und anglikanischen Institutionen des Heiligen Landes 1917–1939


Autor(en)
Löffler, Roland
Reihe
Konfession und Gesellschaft. Beiträge zur Zeitgeschichte 37
Erschienen
Stuttgart 2008: Kohlhammer Verlag
Anzahl Seiten
526 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Thomas Metzger, Departement für Historische Wissenschaften, Universität Freiburg (CH)

Gelten die politischen Aspekte der Geschichte Palästinas in der Zwischenkriegszeit als ausgiebig erforscht, so kann dies für religions-, sozial- und gesellschaftsgeschichtliche Thematiken weit weniger konstatiert werden. Der Theologe Roland Löffler hat sich mit seiner am Fachbereich Evangelische Theologie der Philipps-Universität Marburg verfassten Dissertation vorgenommen, einen Beitrag zur Erforschung des «Innenlebens» Palästinas (15) zu leisten. In seiner mikrohistorischen Untersuchung zu deutschen evangelischen und anglikanischen Institutionen in Palästina zwischen 1917 und 1939 liefert der Autor äusserst wertvolle Einblicke in die komplexen Transformationen und innerorganisatorischen Veränderungen sowie die auf diese Einrichtungen wirkenden transnationalen und lokalen Einflüsse. Hierbei zeigt Roland Löffler auf, durch welch unterschiedliche kirchliche, gesellschaftliche, theologiegeschichtliche und theologiepolitische Faktoren die Mentalitäten der protestantischen Institutionen geprägt wurden.

Die Dissertation von Roland Löffler fusst auf einer sehr umfangreichen Quellenarbeit. Der Autor konsultierte diverse Archive in Deutschland, Israel und England. Darüber hinaus analysierte er eine Reihe zeitgenössischer Periodika. Die Forschungsergebnisse münden in drei empirische Hauptteile, die sich mit der religionspolitischen Mentalität der deutschen und britischen Protestanten, dem Syrischen Waisenhaus als Beispiel des Sozialen Protestantismus sowie den nationalen und konfessionellen Identitätsbildungsprozessen in den arabisch-lutherischen und arabisch-anglikanischen Konvertitengemeinden befassen. Hierbei gelingt es Roland Löffler, die Entwicklungen über den Untersuchungszeitraum hinaus in den historischen Kontext einzubetten, indem er die die Geschichte der deutschen und britischen Präsenz in Palästina und die Vorgeschichte der Institutionen breit abhandelt. Bei der komparativ geprägten Untersuchung Roland Löfflers liegt der Schwerpunkt auf den deutschen evangelischen Aktivitäten. Die anglikanischen Einrichtungen dienen dem Theologen hauptsächlich als Vergleichsgrössen (20).

In den zwei den empirischen Hauptteilen vorangestellten Kapiteln beleuchtet Roland Löffler die historischen Kontexte, die für die Analyse des Protestantismus in Palästina in der Zwischenkriegszeit von grosser Wichtigkeit sind. So befasst er sich mit Religion und Politik im Rahmen der beginnenden europäischen Penetration Palästinas und der Transformationen der Zwischenkriegszeit. Imperialistische und missionarische Motivationen waren hierbei miteinander verschränkt, was sich beispielsweise im Wettstreit zwischen Deutschland und Grossbritannien um eine möglichst symbolträchtige religiös-kulturelle Repräsentation zeigte. Kennzeichnend hierbei ist, welch wichtige Rolle protestantische Sondergruppen wie die württembergischen «Templer» oder die britische Judenmission einnahmen. Das im 19. Jahrhundert aufblühende Interesse des Protestantismus am «Heiligen Land» führte zu einer eigentlichen Jerusalem-Mentalität, wobei Roland Löffler zwei frömmigkeitstheologische Motivationslinien ausmacht: die von endzeitlichen Erwartungen geprägte Idee der «Restoration of the Jews» in Palästina sowie die Vorstellung eines «friedlichen Kreuzzuges», der zur Bildung christlicher Kolonien führte.

Das Herausarbeiten der religionspolitischen Mentalitäten der deutschen und englischen Protestanten Palästinas in Kapitel 4 macht auf sehr aufschlussreiche Weise das stark transnational auf das Herkunftsland ausgerichtete Bewusstsein dieser Diasporagemeinden sichtbar. Aus diesem Bewusstsein resultierte eine ausgesprochen anti-assimilatorische Grundhaltung sowohl der Anglikaner als auch der deutschen Evangelischen. Ihre Ausgangssituation nach dem Ersten Weltkrieg gestaltete sich jedoch grundlegend verschieden. Während die deutschen evangelischen Institutionen sich mit der Niederlage im Krieg auseinandersetzen und sich mit einer religionspolitischen Schwächung abfinden mussten, sahen sich die Anglikaner nicht mit einem neuen System konfrontiert, und die anglikanische Kirche erfuhr in der britischen Mandatszeit in Palästina eine deutliche Aufwertung. Ausführlich werden in diesem Teil auch die innergemeindlichen Transformationen beschrieben. So wird unter anderem die Reaktion des deutschen Protestantismus in Palästina auf die Errichtung des «Dritten Reiches» beleuchtet, wobei klar wird, dass sowohl die «Templer» als auch die als «Kirchler» bezeichneten Mitglieder der deutschen evangelischen Gemeinden häufig nationalkonservativ, kaisertreu und gegen die Weimarer Repu blik eingestellt waren. Der Autor kommt zum Schluss, dass die Etablierung des Nationalsozialismus an der Macht insbesondere von jungen «Templern» dazu genutzt worden sei, um als transnationale Minderheit an deren Erfolgen teilzuhaben (204).

Das Syrische Waisenhaus der Familie Schneller in Jerusalem im Zeitraum von 1860 bis 1945 dient Roland Löffler im zweiten Hauptteil (Kapitel 5) als Beispiel für den Sozialen Protestantismus in Palästina. Diese grösste evangelische Missionsanstalt in Palästina hatte ihren Ursprung in der süddeutsch-schweizerischen Erweckungsbewegung. Eine komparative Bezugsnahme auf eine britische Einrichtung des Sozialen Protestantismus wird in diesem Kapitel nicht hergestellt, da das Waisenhaus, so Roland Löffler, bezüglich seiner Geschichte und seiner Grösse in Palästina einzigartig gewesen sei (246). Das Syrische Waisenhaus mit seinen Schulen und Handwerksbetrieben verstand sich als Mittel zur Mission unter den Arabern. Die Missionserfolge nahmen sich allerdings bescheiden aus. Dem Autor gelingt es gut aufzuzeigen, wie sich das Missionswerk über die Jahrzehnte zu einem modernen Dienstleistungs- und Wirtschaftsunternehmen wandelte. Dieses ursprünglich als Mittel zur Evangelisation geschaffene Instrument säkularisierte sich im Zuge dieses Prozesses selbst. Informative Einblicke bietet auch die Darstellung der Reaktion des Waisenhauses auf die politischen Veränderungen des transnationalen Bezugsrahmens und im palästinischen Umfeld. So passten sich die Träger der Institution gegenüber dem Nationalsozialismus partiell an, und sie zeichneten sich als arabermissionarische Einrichtung durch ihren Antizionismus aus.

Im letzten Hauptteil (Kapitel 6) wendet sich der Autor den evangelischen und anglikanischen Gemeinden zu, die aus der Mission unter den Arabern entstanden waren. Die relative Erfolglosigkeit der Mission unter den Muslimen führte dazu, dass es sich bei den Gemeinden lediglich um Mikromilieus handelte. Ihre Situation als christliche Minderheit im arabisch und zunehmend auch jüdisch geprägten Palästina und als Konvertiten war schwierig, zumal sie – insbesondere in den deutschen Muttergemeinden – nicht als gleichwertige Mitglieder betrachtet wurden. Die Komplexität der Identitäten der protestantischen arabischen Gemeinden wird im Buch insbesondere auch durch die unumgängliche Selbstverortung in der aufstrebenden palästinischen Nationalbewegung und durch die Tendenzen zur Bildung einer unabhängigen, national organisierten «Jungen Kirche» belegt. Die Schlussfolgerungen der Dissertation (Kapitel 7) fallen umfangmässig kurz aus, dies sicherlich deshalb, weil der Autor bereits am Ende eines jeden Kapitels eine Zusammenfassung einfügt. Trotz der guten teilweise in Thesenform formulierten Kapitelzusammenfassungen wäre eine ausführlichere Synthese der drei Fallstudien zum Protestantismus in Palästina zum Schluss des Buches wünschenswert gewesen.

Die hervorragende und äusserst breit fundierte Dissertation von Roland Löffler leistet einen wertvollen Beitrag zur Erforschung des Protestantismus in Palästina. Die Studie, die sich als ein Beitrag zur kulturgeschichtlich arbeitenden kirchlichen Zeitgeschichte versteht, ist zudem theoretisch breit abgestützt. So wählt der Autor jeweils spezifische methodischtheoretische Herangehensweisen für die drei Fallstudien. Auf diese Weise vermag Roland Löffler eine präzise und weitangelegte Analyse der Mentalitäten der protestantischen Diasporagemeinschaften und ihrer transnationalen Bezugsrahmen vorzunehmen. In einem wechselseitigen Transferprozess richteten die Diasporagemeinschaften ihre Identitäten an ihrer Heimat aus und beeinflussten ihrerseits durch ihre Berichte und Erfahrungen den Protestantismus in ihren Herkunftsländern, was etwa zu einem ausgedehnten Netz an Unterstützungsvereinen für die Missionsinstitutionen im «Heiligen Land» in Deutschland und Grossbritannien führte.

Zitierweise:
Thomas Metzger: Rezension zu: Roland Löffler, Protestanten in Palästina. Religionspolitik, Sozialer Protestantismus und Mission in den deutschen evangelischen und anglikanischen Institutionen des Heiligen Landes 1917–1939 (=Konfession und Gesellschaft. Beiträge zur Zeitgeschichte, Bd. 37), Stuttgart, Kohlhammer, 2008. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 104, 2010, S. 516-518

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